„Das Fördern und Festigen der Erzählung ,Wir gegen die‘ durch die Initiatoren der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen führt zu steigendem Aggressions- und Gewaltpotenzial. Und das nicht nur in der radikalen Rechten. Durch die starke Emotionalisierung wird dies auch bewusst bis ins bürgerliche Milieu gefördert.“
Diese Erkenntnis zu den Montags-Märschen schilderte Sozialpsychologin Pia Lamberty bei ihrem heutigen Austausch mit der SPD-Landtagsfraktion. Lamberty, eine der führenden Expertinnen zum Thema Verschwörungsideologien, Autorin und ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Mainz, berichtete über Radikalisierung und Verschwörungsmythen im Impfgegner-Umfeld.
„Das Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt und das Einwirken radikaler Kräfte darauf, auch im Umfeld der Montags-Märsche, beschäftigt uns als SPD-Fraktion schon lange intensiv. Deswegen haben wir dieses Thema auch jüngst als Aktuelle Debatte in den Landtag eingebracht. Auch wenn selbstverständlich nicht alle Menschen, die montags auf die Straße gehen, radikale Ansichten vertreten und verbreiten, ist es doch spürbar, wie sehr die Kräfte dahinter versuchen, mit solchen Aktionen unsere Gesellschaft und politische Kultur zu beeinflussen“, sagte Fraktionsvorsitzende Sabine Bätzing-Lichtenthäler. „Ich bin daher sehr froh, dass wir uns mit einer so renommierten Expertin wie Frau Lamberty über das facettenreiche Thema austauschen konnten.“
Lamberty, die auch neuste Erkenntnisse aus einer noch nicht veröffentlichten Studie präsentierte, berichtete unter anderem, dass sich bei den Corona-Protesten eine klare Vermischung der Milieus beobachten lasse. „Die Anti-Corona-Proteste dienen als rechtsextremer Resonanzraum. In diesem sammeln sich die unterschiedlichsten Gruppen. Das geht von organisierten Rechtsradikalen über Verschwörungsideologen bis zu Impfgegnern und ,normalen‘ Bürgern“, erläuterte Lamberty. Auffällig sei, dass ein großer Teil der am Protest Beteiligten der AfD nahesteht. Dabei schwanke die Partei mitunter zwischen den Rollen der Nutznießer und der Scharfmacher.
Darüber hinaus erläuterte Lamberty, dass erwartbar ist, dass sich das Protestpotenzial zukünftig auch anderen Themen zuwendet – beispielsweise dem Kampf gegen den Klimawandel. „Wir haben solche Tendenzen auch schon rund um die Flutkatastrophe gesehen, die radikale Kreise für sich nutzen wollten. Generell gilt: Je größer die Krise ist, desto umfassender ist das Mobilisierungspotenzial.“
„Auch ich weiß aus vielen persönlichen Gesprächen, dass die Corona-Schutzmaßnahmen mitunter nicht der einzige Grund des Protests sind. Es ist meiner Erfahrung nach genau so, wie Frau Lamberty es heute sagte: Den Organisatoren und einigen Mitmarschierenden geht es nicht in erster Linie um Corona, es geht um Widerstand zu unserer Gesellschaft und unserer Art zu leben“, berichtete Bätzing-Lichtenthäler. „Das zeigt sich auch an wahrhaft widerwärtigen Aktionen aus diesem Umfeld in den sozialen Medien. Frau Lamberty berichtete heute von indirekten Todesdrohungen an Bürgermeister sowie Verschwörungsmythen, dass die Flutkatastrophe nur inszeniert war. Das sind Positionen, die wir mit aller Kraft bekämpfen werden und müssen.“
Lamberty hatte den Abgeordneten auch Empfehlungen mitgebracht, wie den Protesten und ihren Hintergründen begegnet werden sollte. „Im Kampf gegen Verschwörungsmythen kann vor allem das soziale Umfeld intensiver eingebunden werden. Eine soziale Norm kann kraftvoller sein als die eigene Ideologie. Dazu bedarf es dann auch der Unterstützung des Umfelds beispielsweise mit entsprechenden Beratungsangeboten. Fakten gegen Verschwörungstheorien liegen vor, der soziale und emotionale Aspekt müsste aber oft stärker mitgedacht werden“, sagte Lamberty.
Bätzing-Lichtenthäler griff weitere Strategien auf: „Besonders überzeugt hat mich der Ansatzpunkt, dass wir den digitalen Raum wieder mehr als gesellschaftlichen Raum verstehen müssen. Denn hier vervielfacht und verfestigt sich vieles. Dabei ist es wichtig, zwischen Fehlinformation, Desinformation und Verschwörungstheorie genau zu unterscheiden und spezifisch zu reagieren. Der von Frau Lamberty entworfene Dreiklang aus Demokratiebildung, Betroffenenschutz und Strafverfolgung ist ein vielversprechender Ansatz.“
Bätzing-Lichtenthäler bedankte sich zum Schluss im Namen der gesamten Fraktion bei Frau Lamberty für den spannenden Vortrag, den intensiven Austausch und ihre generell für unsere Demokratie so wichtige Arbeit. „Wir werden die dabei gewonnenen Erkenntnisse auch weiterhin für unsere politische Arbeit intensiv verfolgen und einbinden.“